Digitale Nachlässe

Ihre Bedeutung für Trauer und Erinnerung

Wenn Menschen sterben, lassen sie nicht nur Sachen zurück, die wir ganz haptisch anfassen können wie Postkarten, Bücher und Kleider, sondern auch ihre digitalen Daten. So kommt heute neben dem analogen Nachlass auch noch der digitale Nachlass dazu, sei es in sozialen Netzwerken, in Clouds, auf dem Rechner, dem Smartphone oder dem Tablet. Oft ist der digitale Nachlass sehr vielfältig.

Eine Hand, die auf dem Handy tippt.
Foto: Gilles Lambert / Unsplash

Auch in meiner Arbeit geht es hin und wieder um das digitale Erbe. Vor allem der Umgang mit dem digitalen Erbe stellt trauernde Menschen öfters vor die Frage: Kann bzw. darf ich das anschauen, will ich das anschauen? Was erwartet mich da?  So wie jeder Mensch unterschiedlich trauert, so geht auch jeder individuell verschieden mit dem digitalen Nachlass um. Nicht alle Menschen treten das digitale Erbe an, manche bewahren z.B. das Smartphone des verstorbenen Menschen in einer schönen Erinnerungskiste auf, ohne jemals darin gelesen zu haben, es ist ausgeschaltet und für sie ein analoges Erinnerungsstück. Andere wiederum schauen mindestens teilweise den digitalen Nachlass an. Für manche Hinterbliebene sind dies dann wertvolle Erinnerungen, für andere Einblicke in ein Leben eines geliebten Menschen, der ihnen plötzlich fremd vorkommt und manchmal kommen auch Dinge zum Vorschein, die trauernde Menschen noch lange beschäftigen.

Der Soziologe Lorenz Widmaier untersucht in seinem Promotions-Forschungsprojekt über das digitale Erbe die Bedeutung von digitalen Nachlässen für die Hinterbliebenen sowie digitale Trauer- und Erinnerungspraktiken. Dabei hat er auch mit vielen Hinterbliebenen über ihren Umgang mit den digitalen Nachlässen ihrer verstorbenen Menschen gesprochen.

Bei der Ausstellung MEMENTO , die im Oktober 2020 im Museum für Sepulkralkultur  eröffnet wurde, findet man verschiedene Beiträge, die das digitale Erbe thematisieren und Einblicke in die Forschung von Lorenz Widmaier geben.

Auch mir hat Lorenz drei Fragen zu seinem Forschungsprojekt beantwortet.

1. Was hat dich persönlich motiviert ein Thema im Kontext von Trauer und
Tod zu wählen?

Meine Promotion ist Teil von H2020 POEM, ein Forschungsprojekt, das sich mit unterschiedlichen partizipativen Erinnerungspraktiken auseinandersetzt. In diesem Rahmen habe ich mir dieses Thema ausgesucht. Die Frage nach der Motivation wird mir oft gestellt, es gibt dazu aber keine persönliche Geschichte und es steht kein eigener Verlust dahinter. Nach den Gesprächen mit meinen Interviewteilnehmer*innen würde ich aber sagen, dass meine Motivation ist, das Thema Trauer mehr in die Öffentlichkeit zu bringen. Denn beinahe alle haben gesagt, dass darüber nach wie vor viel zu wenig gesprochen wird.

Und warum ausgerechnet das Thema „Bedeutung von digitalen Nachlässen für die Trauer und die Erinnerung?

Wenn in den Medien der digitale Nachlass thematisiert wird, geht es in aller Regel darum, wie man diesen löschen kann – zum Beispiel das Facebookprofil des/der Verstorbenen. Wie wichtig der digitale Nachlass allerdings für die Trauerarbeit der Hinterbliebenen sein kann wird kaum erwähnt. Wenn sich die Wissenschaft damit beschäftigt, geht es häufig um utopische Ideen digitaler Unsterblichkeit, aber selten um empirische Erkenntnisse, also darum, wie Hinterbliebene tatsächlich die digitalen Daten und Möglichkeiten zur Trauer nutzen. Insofern ist mir beides wichtig, zum einen darauf hinzuweisen, wie wertvoll diese Daten sein können und zum anderen erforschen, wie damit tatsächlich umgegangen wird. Neben dem wissenschaftlichen Interesse, ist es mir ein Anliegen, zukünftig Betroffenen vielleicht eine Hilfestellung geben zu können.

2. Gab es irgendetwas, was Dich besonders überrascht hat?

Ja, vieles! Ein Beispiel: ich dachte am Anfang, es sei heute ein Problem, mit der Flut an Bildern umzugehen, die wir zum Beispiel auf Smartphones erben. Die erste Überraschung war, dass das digitale Erbe oft viel kleiner war als gedacht – unabhängig vom Alter der Verstorbenen. So hatten manche 20 jährige nur ein paar Bilder auf dem Handy und keine Social Media Accounts und ein über 80 Jähriger hatte tausende Fotos auf seinem Tablet.

Die zweite Überraschung war, dass fast niemand ein Problem mit der Masse an Daten hatte. Selbst wenn tausende Fotos und Videos vorhanden waren, waren die Hinterbliebenen um jedes einzelne froh.

3. Was nimmst Du für Dich selbst mit aus Deinem Forschungsprojekt?

Auch vieles! Ich mache mehr Fotos vom Alltag mit meinen Liebsten und denke, dass diese Bilder einmal eine wundervolle und wichtige Erinnerung sein können. Vielleicht habe ich mich auch mit der eigenen Sterblichkeit mehr ausgesöhnt, wenn man das so sagen kann.

Vielen herzlichen Dank, lieber Lorenz!

Wer mehr über das Forschungsprojekt digitales Erbe von Lorenz Widmaier erfahren möchte, findet auf der Website viele Informationen sowie Publikationen. Darüber hinaus lädt uns Lorenz Widmaier auf seiner Website unter „Mein digitales Erbe“ dazu ein, uns Gedanken zu machen, was mit unserem digitalen Erbe nach unserem Tod geschehen soll.